2014

Wie der Kölner Kardinal sich einmal mächtig irrte – eine Lügengeschichte

Christoph Platz, 2014©

Vor einigen Jahren fand Herr Meisner, der damals Kardinal von Köln war, einmal zufällig die Zeit einen Film im Kino anzuschauen, und da er weder viel Ahnung von Kino noch die Lust zum eingehenden Studium des Kinoprogramms hatte, fiel seine Wahl auf einen Film, der im Titel mit gleich drei Engel aufwartete, auch wenn ihm nicht bekannt war, wer denn dieser Charlie sei, dem die Engel wohl zu gehören schienen. Das Lichtspiel fand er trotz einigen Befremdens denn auch recht unterhaltsam. Ganz besonders begeisterte er sich sogar für die flotte Tanzszene einer der Hauptdarstellerinnen zu einer flotten Musik, die er vor vielen Jahren noch für etwas zu flott befunden hatte, als er sie im Kreise jüngerer Schäfchen einmal zu Ohren bekommen hatte. An den Text konnte er sich aus sehr verständlichem Grund gut erinnern: Heaven must be missin’ an angel... Die höchst ansehnliche, amerikanische Filmschauspielerin Cameron Diaz steppte da so fröhlich auf einer aus vielen farbigen Quadraten bestehenden , von unten illuminierten Tanzfläche, dass es eine Lust war. Diese leuchtend bunten Farbflächen hatten es ihm beinahe so sehr angetan, wie die engelhafte Erscheinung auf ihr... missin’ one angel, child, cause you’re here with me right now ...

Zu dieser Zeit begab es sich aber, dass man einen Entwurf für ein neu zu gestaltendes Fenster seiner berühmten Kirche, den Kölner Dom, in Auftrag zu geben gedachte. Da fragte der Kardinal einen seiner treuesten Mitarbeiter, den er als Kunstkenner kannte, ob er nicht jemanden wüsste, der einen solchen Eindruck eines entzückt tanzenden Engels auf farbenfrohen Quadraten zu erzeugen wisse.

Der gute Mann konnte sein Glück kaum fassen, erhielt er doch, wie er glaubte, die Weisung, den von ihm schon so lange bewunderten, unzweifelhaft begnadeten Maler G-Punkt Richter für das Projekt zu gewinnen. Die leuchtenden Quadrate sah er schon vor sich, denn er hatte einst, zu Besuch bei vermögenden Bekannten, einen Teppich des Meisters aus lauter farbigen Quadraten gesehen, ja, er war sogar – in einem unbeobachteten Augenblick – kurz darauf auf und ab geschritten und hatte es unglaublich genossen. Das mit den Engeln würde sich schon ergeben, denn jeder wusste schließlich, dass der Artist auch Menschen malen konnte – etwas verwischt zwar, aber doch sahen sie immer ziemlich echt aus. Dem Künstler selber, den viele einen Malergott hießen, war er zwar noch nie begegnet, doch hatte er unzählige seiner Bilder in Ausstellungen besichtigt, nannte einige Bücher und Kataloge zu Richters Werken sein eigen und verfolgte seit langem dessen konstante Positionierung an der Spitze der teuersten Künstler der Welt. Sein einziges Leid in dieser Verehrung war, dass sie eben nur aus der Ferne möglich war. Was außer einem Katalog hätte er sich denn leisten können von diesem erhabenen Meister?; schon eine kleine Papierarbeit überforderte seine kargen Mittel, auch zu den Vernissagen und Previews, wo er ihm hätte begegnen können, war er niemals eingeladen worden, und dort wo der Künstler wohnte, wurde man nur mit einer Einladung vorgelassen, ein Reich besonders reicher Leute etwas außerhalb der großen Stadt, die in der Welt als lebendige Kunstmetropole wahrhaft berühmt ist.

Doch nun spürte er, dass seine Zeit gekommen war. Er würde endlich vorgelassen werden, er hätte einen Grund, den er den Wächtern vorweisen könnte, er würde seine kostbare Einladung erhalten als einer der Wenigen. Endlich würde er diese Hände schütteln, deren Arbeit in wenigen Stunden Oelfarbe zu Millionenwerten transsubstanzialisierten, dessen Name eine Marke, und dessen Bilder sein in der ganzen Welt bekanntes Zeichen geworden waren. Himmlisch war es nur daran zu denken, und es beflügelte ihn; so sehr, dass es ihm wie im Traum gelang, die kunstsinnige Dombaumeisterin mit seiner Sehnsucht anzustecken und zu seiner treuen Mitstreiterin zu gewinnen.

Der selige Schwung dieser beiden machte es wohl auch, dass der Künstler, obwohl allenthalben als grüblerischer Mensch und tiefer Denker bekannt, der tapfer ausharrte in der Geworfenheit seiner Existenz, in einer Welt ohne Gott, der sich also nichts vormachte, ja, seine Bilder für klüger hielt als sich selbst – und das sollte wohl etwas heißen! – diesem Ansinnen bald freudig zustimmte, ja, Gefallen fand an dem Gedanken, sich dort zu verewigen, wo seit vielen Jahrhunderten der Weltgeist sich mühte, ein Gesamtkunstwerk besonderer Güte hervorzubringen. Gleichwohl, so dachte er, würde er nicht zu Kreuze kriechen; nein, er würde die Erwartungen des spießigen Kardinals nicht bedienen – im Gegenteil! Die reine Farbe wollte er dort sich entfalten lassen, die Farbe als solche. Die Wahrheit.

Doch nach vielen, langen Tagen da er mit seinen Gedanken schwanger ging, fragte er sich, ob nicht auch er in die alte Falle der Religion treten würde, dem Opiumsumpf des Katholizismus ein weiteres Rauschmittel hinzufügen würde mit seinem Rausch der Farben. Und so suchte er schließlich das Gespräch mit der Drogenbeauftragten des Deutschen Volkes, die sofort und sogar liebend gern zur Stelle war, die sich wahrhaft geehrt fühlte, dass ein so großer das Gespräch mit ihr suchte. Ein Künstler, gemeinhin doch eher ein Vertreter jener, die ihre Mission nur allzu wenig ernst nahmen, ja, sie wusste wohl, dass man in diesen Kreisen nicht viel gab um die Würde ihres Amtes, und von vielen schon hatte sie sich regelrecht verspottet, von manchen allein durch deren Lebensführung verhöhnt gefühlt.

Dieses für beide Seiten äußerst fruchtbare Gespräch brachte den Künstler auf den rechten Weg. Völlig klar wurde ihm nun, dass er auf gar keinen Fall jenen Rausch der Farben, jene Emanation des Lichtes wollte. Nein, denen, die doch nur allzu gern sich würden betäuben lassen, aber auch denen, die süchtig waren nach den immer gleichen Heilsgeschichten, wollte er, sachlich, realistisch und nüchtern wie er nun einmal war, kompromisslos die Banalität des Alltags aufzeigen, auf über einhundert Quadratmetern heroisch das Zufällige all jenen entgegenhalten, die von dem Heil, der Auferstehung und der Verzückung träumten.

Entscheiden über das gläserne Bild aber sollte der Zufall - nicht Mensch, nicht Gott - und so würfelte er denn seine Farben. Er würfelte manchen Tag, und manche Nacht würfelte er auch, gefolgt von vielen Nächten und Tagen an denen er würfelte um die rechten Farben; und wahr ist es! – niemand hätte so wunderbar zu würfeln vermocht, niemand hätte so konsequent, mit solcher Hellsichtigkeit, Schärfe des Blicks und Hingebung an die Materie so viele verschiedenen Farben – es sind sage und schreibe derer 72! - in solch faktischer Absolutheit zusammenbringen können, außer - natürlich - Gott; aber der würfelt nun mal nicht!

Schließlich, nach vielen Mühen der Glasmaler, die die ehrenvolle Aufgabe hatten, die brillante Gestaltung in all den Alltagsfarben des Großmeisters zu fertigen, staunte man allenthalben nicht schlecht. Die einen, weil sie so eine konsequente Negativität noch niemals erlebt zu haben glaubten, und sie waren begeistert: „Mensch, - so dachte man - der hat seinen Adorno gelesen!“; die anderen aber, weil sie so eine konsequente Negativität noch niemals erlebt zu haben glaubten, und sie waren bitter enttäuscht. „Gott, - so dachte man – der hat bestimmt nie in der der Bibel gelesen!“. Zu jenen gehörte auch der Kardinal, und als der damals einmal sagte, dass so ein Bild ohne Bilder besser in eine Moschee gehöre, brach in den Medien landauf landab eine Welle echter Empörung los. Dieses große Werk auch nur in Gedanken der Welt des Islam vorzuschlagen war eine Frechheit, ein entsetzlich gemeiner Affront; ja, das war noch jedem klar, und nur ausgesprochene Dummköpfe glaubten so, weil sie das Fenster derart schlecht fanden, dass es eine Beleidigung für überhaupt jeden gewesen wäre, dem man es hätte anbieten wollen.

Und so kam es, dass sich in diesen schweren Tagen nicht einer fand, der sich auf die Seite des Kirchenmannes hätte schlagen wollen, des Kardinals, der doch bloß - voll Kummers - die tanzenden Engel vermisste, auf die er sich so sehr gefreut hatte... missin’ an angel, child ...

Zurück