2013

Peter Nagel - Ein deutscher Mythenzerstörer

Vortrag zur Ausstellung „Ratatazong, weg ist der Balkon“ in der Carlernst Kürten – Stiftung, Unna im Oktober 2013 von Christoph Platz

Als ich Peter Nagel anlässlich einer gemeinsamen Ausstellung vor einigen Jahren nach Adjektiven fragte, mit denen er sich und seine Kunst beschreiben würde, fand sich unter vielen anderen auch das Wort „faschistisch“. Nun sähe es mir nicht ähnlich, hätte mich das „betroffen“ gemacht, und Peter Nagel kannte ich bereits zu gut, um irritiert zu sein; es hat mich einfach genervt, es passte mir nicht in den Kram, denn ich musste einen Pressetext schreiben, und da konnte ich auf solche Spitzfindigkeiten nicht eingehen ... Dazu fiel das in eine Zeit, als ich mich zum wiederholten Male fragte, inwieweit nicht die Kunst eines Richard Serra eigentlich faschistisch sei; mit ihrem Drang, durch schiere Masse zu überwältigen, sich durch maximale Präsenz als alternativlos darzustellen und schließlich auch angesichts der bei ihrer Produktion in Kauf genommenen menschlichen Opfer.

Und dann hatte ich mich kurz zuvor sehr geärgert zu hören, jemand, der beruflich als Kunstexperte tätig ist, hätte eben diesen Vorwurf gegen Peter Nagels Arbeit erhoben; angesichts einer Pferdestatue auf die er - wie entsetzlich - auch noch mit einem Gewehr hatte schießen lassen. Mir ist bis heute nicht klar, ob es eigentlich um den Akt des Schießens ging – eher unwahrscheinlich angesichts der Vorläuferin Niki de Saint Phalle, die ja dann wohl eine Sexfaschistin gewesen wäre (geht ja nicht, nein, nein!) - , oder um die meisterhaft modellierte und in Bronze gegossene Skulptur eines Streitrosses. - und da liegt wohl der Hund begraben, wenngleich sie ganz offensichtlich Vorbildern der Renaissance entlehnt ist; wer sich ein wenig in der Kunstgeschichte auskennt, denkt an die Reiterstatue des Feldherren Colleoni von Andrea del Verocchio in Venedig.

Diese Geschichte hatte ich beinah vergessen, als sie kürzlich eine Fortsetzung erhielt. Ein Freund stellte mir die Möglichkeit in Aussicht, das Atelier und den Skulpturengarten Arno Brekers in Düsseldorf zu besichtigen. Ich fragte Peter Nagel, ob er eventuell Interesse hätte, mich zu begleiten, und es folgte etwas, das fast wie ein Geständnis wirkte; Er erzählte mir, dass er dieses Atelier sehr gut kenne, dass er für 3-4 Jahre dort ein und aus gegangen sei. Während der ersten Hälfte seiner Studienjahre an der Düsseldorfer Kunstakademie.
Das hat mich in der Tat umgehauen! ... Peter Nagel hatte den Nazi-Bildhauer persönlich gekannt: Arno Breker - war sein Modell gewesen, hatte ihn bei der Arbeit beobachtet, die Hexenküche in der Höhle des Löwen erlebt! Unvorstellbar. Ich kannte Breker bloß aus dem Schulbuch Geschichte, einer Hand voll Abbildungen und aus einer Publikation von Klaus Staeck, darin besonders dem hellsichtigen Aufsatz von Max Imdahl: „Pose und Menschenbild“ von 1987. Wir kannten uns nun über 15 Jahre und er hatte jedes Wort darüber vermieden ... .

1987, das war ungefähr die Zeit, als der Kunststudent Peter Nagel an Brekers Tür geklopft hat um ihn zu fragen, ob er nicht ein Modell gebrauchen könne.
In der Cafeteria der Akademie hatte er ein Modell kennengelernt, eine Frau, die Brekers Lieblingsmodell jener Jahre gewesen war, von ihr stammte der Tipp, und Nagel, der junge Student, der das Geld brauchte, fragte sich, ob nicht gerade dies sein Königsweg sein könne: Geld zu verdienen und, ganz nebenbei, das Verbotene zu berühren, der Blume des Bösen in ihrem späten Werden beizuwohnen.

Wir alle wissen, wie wichtig die Grenzüberschreitung für die Kunst ist. Grenzüberschreitung!!! Die Grenzüberschreitung, ja, die Grenzüberschreitung!!!
Man kann es lesen – tausendfach in den Kunstpublikationen jeglicher Provenienz. Die Grenzüberschreitung ist des Pudels Kern der Kunst! Oder etwa nicht?
Und da hat es sich der Schüler der freien Kunst ausgesucht, gerade diese über 40 Jahre unangetastete Grenze zu überschreiten ... . Das war eine so deutliche Grenzüberschreitung und Tabuverletzung, dass es in der Akademie keinen Zweifel geben konnte. Kommilitonen und Lehrer - alle setzten ihn so lange unter Druck, bis er schließlich aufgab, von heute auf morgen nicht mehr zum Breker-Atelier fuhr, sich am Telefon nicht meldete und einfach nicht mehr erreichbar war. Er hatte sich entschieden: für die Möglichkeit, als Künstler weiterhin zu wachsen, gegen ein geregeltes Einkommen und die Aussicht, einem Meister der figürlichen Plastik etwas abzuschauen.

Es ist erstaunlich, wie leicht manche Grenzen in der Kunst akzeptiert werden, ich meine natürlich jene, die als Grenzen nicht wirklich so genannt werden dürfen, da man ja ansonsten noch so manche Grenze zu überschreiten als das unumschränkte Verdienst der Avantgarde zu postulieren gedenkt. Was aber sind denn diese Grenzen, die ständig hinter sich gelassen werden? Ist es nicht längst eine gut geölte Maschinerie geworden, dessen Getriebe unablässig leer läuft – inhaltslos? Ohne Fortbewegung?
Jahr für Jahr werden Grenzüberschreitungen ersehnt, man wünscht sich feuilletonistisch die Provokation, die Verstörung. Jedes Jahr aufs Neue. Und es gibt natürlich Künstler, die das liefern wollen und können.

Peter Nagel tut etwas anderes. Er ist ein romantischer Künstler. Seine Provokation ist die eigene Verstörung, die eigene Irritation angesichts der Unmenge an Eindrücken, die unsere Zeit bereithält, die auf uns alle täglich niederprasseln oder rieseln – wie auch immer. Nagels Reaktion ist die Schaffung einer parallelen Welt, einer Bildwelt, in der die Verletzungen, Enttäuschungen, die Lächerlichkeiten und Banalitäten unserer Welt wenn nicht geheilt, so doch in eine erträgliche Form gebracht werden. Eine somit diskursive Kunst ist natürlich alles andere als faschistisch. Überhaupt sollten wir mit diesem Begriff viel sparsamer umgehen; nicht weil wir der Gefahr nicht gewachsen wären, sondern weil es die Sicht auf die Ideen künstlerischen Schaffens vernebelt. Die historische Zerstörung der figürlichen Tradition in der deutschen Bildhauerei aber, die möglicherweise unumgänglich war, wird erst heute, da wieder fröhlich figürlich drauflos gebildhauert wird, als ungeheure Katastrophe ersichtlich. *

Peter Nagel geht es in einem emphatischen Sinne um die Form. Sie ist nur durch künstlerische Meisterschaft zu erzielen. Sie ist die letzte Spur des Göttlichen in unserer Welt. Nicht nur die schöne Form! (es sind ja auch nicht immer die netten Götter). Die Form kann auch ein Protest sein, aber als Form hat alles eine Würde. Es ist die Form, die den Künstler fordert, ihm alles abverlangt, die dem Gegenstand abgeschaute und mit dem Ziel der Präzision dem Material abgerungene.

Da gibt es auch Parallelen zu der Kunst eines Arno Breker. Doch während jener all seine Kunstfertigkeit aufbietet um ein wie auch immer idealisiertes Menschenbild zu prägen, ist Nagels Ideal die Sisyphusarbeit, die kein Ideal erreichen will und kann, da Berg und Stein dazu nicht taugen. Nagel überwindet den Mangel nicht durch Missachtung, sondern durch Affirmation des Absurden im Werk. Verzweifelt reflektiert er die Verzweiflung seiner Mitmenschen, sich und ihrem Leben eine individuelle Note zu verpassen, indem sie ihren Leib zur Leinwand für talentfreie Tätowierartisten hergeben, anstatt, wie Breker, den gestählten Körper des Sportlers - sei es in Triumph oder Niederlage – wiederzugeben und damit einmal mehr am Mythos des Menschen zu arbeiten. Dergleichen findet sich bei Nagel gar nicht. Wohl aber findet sich der Mythos der Kunst – als eine Reihe von Phänotypen erfolgreicher Kunstproduktionen des 20. Jahrhunderts auf standardisierten Nashorntrophäen. Doch ein dem Lächeln anheimgegebener Mythos ist ein zerstörter Mythos - ein Schicksal, das bei Peter Nagel die RAF mit Adolf Hitler teilt.

* Anderer Kunst macht man es zu leicht, sie als in demokratischen Zeiten entstandene Kunst nicht nach ihrer wahren politischen Haltung zu befragen. So sind Richard Serras Arbeiten vielleicht nicht faschistisch - der einzige demokratische Meinungsbildungsprozess zu einer seiner Plastiken endete jedoch 1989 mit der Beseitigung von „Tilted Arc“ auf dem Foley Federal Plaza in Manhattan, NYC.

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